“And if we have always done it that way…”

20. Oktober 2023 – Poetry Slam in Chicago

„We have always done it that way. And if we have always done it that way, then it can’t be wrong.” (Wir haben schon immer so gemacht. Und weil wir es schon immer so gemacht haben, kann es nicht falsch sein.)

Endlich! Beim Uptown Poetry Slam in der Green Mill sind 150 Augenpaare auf mich gerichtet. Endlich stehe ich da, wo ich schon immer mal stehen wollte.

„I wonder what Til from Germany wants to tell us.”, stellt Marc Smith, Jahrgang 1949, mich vor. Buchstäblich die Hälfte seines Lebens steht er hier auf dieser Bühne.

Ich bin hier nicht bei irgendeinem Poetry Slam – ich bin hier bei dem Slam schlechthin!

„And then I saw it for the first time: This world map on which the world is shown upside down.” (Und dann sah ich sie zum ersten Mal: Diese Weltkarte, die auf dem Kopf steht.)

Marc hat hier vor 37 Jahren, also am 20. Juli 1986, den ersten Poetry Slam ins Leben gerufen. Er setzte damit bewusst einen Kontrapunkt gegen die „Wasserglas-Lesung“, bei der ein:e Autor:in auf einer Bühne neben einem Glas Wasser sitzt und aus ihrem/seinen Werk vorträgt. Ihm geht es vielmehr darum, einen selbstgeschriebenen Text auf einer Bühne zu präsentieren. Seither hat sein Format den Siegeszug durch die Welt angetreten – auch wir auf der Steig sind ein Teil davon: Seit 2017 gibt es bei uns den Stuttgarter-PrecherSlam. Marc Smith gilt ist der Gründervater der weltweiten Poetry-Slam-Bewegung.

“Well – take a map and turn it around: Then you will have the south above und the north below. If you put it this way, then you have on the top left not the U.S. but – wait for it…” (Nimm eine Weltkarte und stelle sie auf den Kopf: Dann hast du oben den Süden und unten den Norden. Wenn du das so machst, dann hast du oben links nicht die USA, sondern – Moment mal…) Ich spüre, wie das Publikum überlegt…
Eine Band mit Klavier, Bass, Saxophone und Schlagzeug umspielt meinen Auftritt mal mehr im Hintergrund mal im Vordergrund, je nachdem ich wie ich Pausen lasse oder sie dirigiere. Ich empfinde es als angenehm, so von der Musik unterstützt zu werden.

“Yeah, right – Australia! This inverted view of the map disturbs my feelings: We have always done it the other way round!” (Genau, richtig – Australien. Der umgedrehte Blick auf die Weltkarte stört mein Gefühl: Wir haben es immer umgekehrt gemacht!)

Die anderen Slams sind kürzer als meine 5 Minuten. „Wenn du das Publikum nicht so in der Hand gehabt hättest“, sagt Marc danach zu mir, „ich hätte dich unterbrochen!“ Ich freue mich über den Zuspruch. Ich habe es geschafft im Englischen auf einer Bühne Menschen mitzureißen – was will ich mehr?!

“And if we have always done it that way, then it can’t have been wrong!” (Und weil wir es schon immer so gemacht haben, kann es nicht falsch sein.)

In der ersten Stunde treten Slammer:innen ohne Wertung auf.
Vor der Pause sammelt Marc durch Zuruf drei Stichworte: „asparagus, nursing home, vampire“. Danach kann jede:r auf der Bühne seine Verse vortragen. Ich bin erstaunt, wie viele kreative Beiträge auf der Bühne geteilt werden: Von einem Vierzeiler bis zu einem Rapp. Hier stimmen wir ab. Marc hat sich sein Publikum herangezogen. Er schafft in seiner lebendigen Art eine Atmosphäre, in der sich jede:r auf die Bühne traut.

„Even if we have always done it that way, let’s try it differently!” (Auch wenn wir es schon immer so gemacht haben, lass es uns doch mal anders ausprobieren!)

Und ich kann mit Fug und Recht sagen: I have been there!